Aachen Peace Price for Academics for Peace – Laudatory Speech by Georg Restle

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The honorees of the Aachen Peace Price 2016: Academics for Peace and Citizens’ Initiative Open Heath (picture by Aachener Friedenspreise e.V.)

In occasion of the awarding of the Aachen Peace Price on 1st September 2016 to Academics for Peace, we post a shortened version of the laudatory speech by Georg Restle, managing editor and host of the German political TV magazine Monitor. You can find the speech on the homepage of the Aachen Peace Price (in German).

Liebe Mitglieder des Aachener Friedenspreises,
liebe Preisträger,
liebe Gäste.

Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, heute hier die Laudatio zu halten. Vor allem natürlich wegen der Preisträger – aber nicht nur. Sondern auch deshalb, weil ich es in diesen Zeiten für außerordentlich wichtig halte, dass es solche Veranstaltungen wie diese und solche Initiativen wie den Aachener Friedenspreis gibt. Sie werden gebraucht: als Teil einer zivilen Bürgergesellschaft, die wir als Bollwerk gegen den aufkommenden rechten Ungeist nötiger haben denn je. Ein Ungeist, der versucht, Frieden wieder völkisch nationalistisch zu definieren und damit ganz sicher keinen Frieden schafft, sondern nur neue Kriege geistig vorbereitet. Diesem rechten Ungeist setzten Sie eine Idee von Frieden entgegen, die immer weltoffen, immer universell ist – und die eben keinen Unterschied macht, ganz egal ob die Kriegsherren aus Washington, Berlin, Ankara oder Moskau kommen. Es heißt ja immer, als Journalist solle man sich mit keiner Sache gemein machen. Aber wie, um Himmels Willen kann man sich mit einer solchen Idee von Frieden nicht gemein machen. Ich mache es heute. Und ich mache es aus Überzeugung.

Es ist ja immer eine Herausforderung über Frieden in unserer Zeit zu sprechen. Heute ist es eine ganz besondere. Während wir hier feiern, sterben Menschen im Irak und in Syrien, in Afghanistan
und im Jemen. Und es sterben immer noch Menschen im Mittelmeer, die auch aus diesen Ländern fliehen. Sie alle sind Opfer von Kriegen, an denen Deutschland direkt oder indirekt beteiligt ist.

Im Irak und in Syrien nicht nur mit Aufklärungsflügen oder Waffen an die Peschmerga, sondern auch, weil hier dem NATO-Partner Türkei quasi ein Blankoscheck ausgestellt wurde: für einen aggressiven Krieg gegen kurdische Milizen, die noch gestern zu den engsten Verbündeten des Westens gehörten im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat.

In Afghanistan, weil die Bundeswehr sich hier an einem Krieg beteiligt hat, der heute noch tausende Opfer fordert, auch weil die deutsche Bundesregierung in Afghanistan vieles im Blick hatte, nur
keine dauerhafte Friedensordnung.

Und im Jemen, weil dort mit Saudi-Arabien einer der wichtigsten Empfänger deutscher Rüstungsexporte einen brutalen Krieg führt gegen Zivilisten, die keine Chance haben, diesem Krieg zu
entfliehen und das Land zu verlassen. Fast 4.000 Zivilisten sind diesem Krieg bisher zum Opfer gefallen, ohne dass sich hier jemand groß dafür interessieren würde.

Selten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Deutschland sich in einem solchen Ausmaß mitschuldig gemacht am Leiden und Sterben von Menschen, die Opfer geworden sind von geopolitischen Planspielen, und auch vom neuen Größenwahn einer deutschen Außenpolitik, die neue Stärke vor allem militärisch definiert.

Wer behauptet, dass diese Kriege Frieden bringen, den widerlegen die Bilder von den Schlachtfeldern im Mittleren Osten auf erschreckend eindrückliche Weise. Genauso erschreckend aber ist,
dass all diejenigen, die jetzt in Syrien gerade den Frieden herbeibomben wollen, offenbar keinen Plan davon zu haben scheinen, wie dieser Frieden überhaupt aussehen soll. Und die Bundeswehr mittendrin – als hätten wir aus Afghanistan nichts gelernt.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir heute über Frieden reden. Es ist wichtig, dass wir die aktuellen Kriege dorthin setzen, wo sie hingehören. Nämlich ganz nach oben auf die politische Agenda. Und deshalb ist es so wichtig, dass es Veranstaltungen wie diese gibt, in denen Menschen geehrt werden, die sich kompromisslos für Frieden einsetzen – ohne Rücksicht darauf, ob sie dafür verhöhnt, bekämpft oder verfolgt werden.

Bei allen Unterschieden: Das eint die beiden Preisträger von heute dann doch: Dass sie es sich nicht bequem gemacht haben, indem sie schweigen. Dass sie sich nicht zurückgezogen haben in die warme Höhle eines politischen Mainstreams, der von den Folgen dieser Kriege doch bitte verschont bleiben will. Dass sie unnachgiebig bleiben gegenüber Regierungen und politischen Eliten. Eliten, die Kriege längst wieder als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln begreifen. Als eine realpolitische Notwendigkeit zur Befriedung aller möglichen Interessen: Seien sie ökonomischer, geopolitischer oder rüstungspolitischer Natur.

Gerade in dieser Zeit braucht es solche Stimmen wie die des Komitees der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für den Frieden. Es braucht das Engagement von Initiativen wie der Offenen Heide. Weil sie die Mehrheitsgesellschaft daran erinnern, dass die großen Probleme, die großen Konflikte unserer Zeit mit den Mitteln des 19. oder 20. Jahrhunderts eben nicht zu lösen sind. Nicht die weltweite Armut, nicht die weltweite Flucht, nicht die weltweite Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.

Und wer meint, dass es bei den aktuellen Kriegen um Menschenrechte ginge, der sei daran erinnert, dass ein die Menschenrechte verachtender Staat wie Saudi-Arabien immer noch zu den wichtigsten westlichen Partnern im Mittleren Osten gehört.
Der sei daran erinnert, dass die deutsche Bundesregierung Pakte mit den schlimmsten Despoten in Eritrea oder dem Sudan geschlossen hat, um Flüchtlinge zurück zu halten. Und der sei auch daran erinnert, dass die Wertegemeinschaft der NATO offenbar kein Problem damit hat, einem Staat wie der Türkei den Rücken zu stärken bei ihrem schmutzigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und gegen die Opposition im eigenen Land.

Die türkischen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für den Frieden haben diesem Krieg in der Türkei widersprochen. Sie haben dies mit sehr deutlichen Worten getan; so deutlich, wie man
einem solchen Krieg eben nur entgegentreten kann. Sie haben die Abriegelung kurdischer Städte als Verbrechen bezeichnet, mit dem der türkische Staat die Zivilbevölkerung zum Hungern verdammt hat. Sie haben die Militäroffensive als Massaker gebrandmarkt und die Verletzung nationalen wie internationalen Rechts verurteilt. Sie haben unmissverständlich klar gemacht, dass sie sich mit diesem Massaker nicht gemein machen wollen, indem sie schweigen.

Allein damit haben sie sich in den Augen der türkischen Regierung zu Staatsfeinden gemacht. Sie wurden verfolgt, festgenommen, öffentlich diffamiert. Einige haben ihre Stellen verloren, anderen
wird der Prozess gemacht. Wofür? Weil sie einen Rechtsbruch einen Rechtsbruch, ein Verbrechen ein Verbrechen genannt haben. Und weil sie sich für einen gerechten und nachhaltigen Frieden
im Südosten ihres Landes eingesetzt haben. Deshalb wurden sie zu Unterstützern von Terroristen erklärt; ausgerechnet von denen, die den Terror des Krieges in kurdische Städte und Dörfer getragen haben.

Es ist die alte Strategie von Diktatoren und Autokraten, die Opposition im eigenen Land als Staatsfeinde außerhalb des politischen Diskurses zu stellen. Eine Gesellschaft zu spalten, indem
man zur Denunziation aufstachelt. Und ja, ausgerechnet denen die Menschlichkeit abzusprechen, die sich für eine humane und pluralistische Gesellschaft einsetzen. Mit der Hexenjagd auf Akademiker, Juristen oder Journalisten hat sich die türkische Regierung, hat sich der türkische Präsident Erdogan endgültig in die Tradition solcher Regime gestellt.

Dass die Europäische Union, dass die deutsche Bundesregierung dagegen nicht lautstark protestiert hat, macht sie zu geistigen Unterstützern dieser Politik, die mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit nichts gemein hat.

Der Preis heute wird daran vermutlich nur wenig ändern. Aber er macht deutlich, dass es durchaus Solidarität gibt. Eine Solidarität nämlich zwischen Zivilgesellschaften über Landesgrenzen hinaus. Zivilgesellschaften, die hier wie dort zunehmend unter Druck geraten; weil Regierungen im globalen Antiterrorkampf längst bereit sind, Freiheiten zu opfern, die eigentlich zum Kernbestand
einer liberalen Demokratie gehören.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für den Frieden stehen in der Türkei aber nicht allein. Sie stehen stellvertretend für eine breite außerparlamentarische zivile Opposition im Land. Eine Opposition, die in den friedlichen Protesten der Gezi-Park-Bewegung in ihrer ganzen Vielfalt sichtbar geworden ist. Eine Opposition, die vielen in und außerhalb der Türkei Hoffnung machte
auf eine andere Türkei, als die, für die der Präsident und seine Partei AKP heute stehen.

Ich kann mich persönlich noch sehr gut erinnern, als ich vor drei Jahren in Eriwan junge türkische Filmemacher und Künstler getroffen habe, die dort mit armenischen Kollegen an gemeinsamen
Projekten arbeiteten, die Brücken bauen wollten zwischen zwei Staaten, deren Regierungen sich ansonsten in Feindschaft verbunden sind. Es war der Höhepunkt der Gezi-Proteste. Ich konnte die Begeisterung einer ganzen Generation spüren. Junge Menschen, die mit ihren Handys ständig mit Freunden in Istanbul im Kontakt standen und stolz die Fotos von Protestaktionen zeigten, die sie aus der Türkei zugeschickt bekamen. Es war die Zeit großer Hoffnungen. Hoffnungen auf eine vielfältige, säkulare, demokratischere Türkei. Hoffnungen aber auch, die sich an Europa richteten, für dessen Werte man doch eigentlich meinte zu kämpfen.

Die staatlich organisierte Verfolgungswelle nach dem gescheiterten Putschversuch will diese Hoffnungen zunichte machen. Die türkische Regierung will der außerparlamentarischen Opposition ihre öffentlich Bühne nehmen, am sichtbarsten in der Besetzung des Taksim-Platzes durch die Anhänger der AKP; dem Platz, der monatelang das Zentrum der Gezi-Park-Bewegung war.

Zehn Tage lang waren wir im August für Monitor mit einem Kamera-Team in der Türkei unterwegs und konnten uns selbst einen Eindruck davon verschaffen, wie viele der Hoffnungen zerstoben sind, wie die Angst vielen in die Glieder kriecht. Dass viele sich überlegen, das Land zu verlassen, weil sie eben keine Hoffnung mehr haben, dass sie in der Türkei Erdogans noch einen Platz finden können.

Dass diese Hoffnungen aber immer noch weiter leben, dafür steht auch das Engagement der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für den Frieden. Die Hoffnung auf eine andere Türkei, eine Türkei der Menschenrechte, der Demokratie und des Friedens.

Ich wünsche mir, dass dieser Preis dazu beiträgt, dass Ihre Stimme hörbar bleibt, dass Sie sich nicht einschüchtern, nicht unterkriegen lassen, dass Sie ihren Mut behalten – im Wissen, dass es viele Menschen in Europa gibt, die ihre Hoffnungen teilen.

[…]

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Gedanken loswerden, der für beide Preisträger von heute gilt. Ob in Deutschland oder der Türkei. In beiden Ländern erleben wir geradeeinen Umbruch, in dem Werte, auf die wir Jahrzehnte lang vertraut haben, zu zerfallen drohen. Friedfertigkeit, Freiheitlichkeit, Mitmenschlichkeit. Die Vorstellung, dass moderne Gesellschaften aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelernt hätten, dass sie unangreifbarer werden gegenüber den Verlockungen starker Führer oder kriegstreibender Ideologien. Diese Überzeugung hat Risse
bekommen. Vielleicht ist das auch ganz gut, weil es uns politisch wachsam hält. Oder wie Carl von Ossietzky es ausgedrückt hat:

„Wenn zwei Zeiten sich scheiden und alles, was man bisher fest verankert glaubte, plötzlich von einem Strudel erfaßt wird, und Zukünftiges mehr noch in der Ahnung lebt als in der organisierenden Vernunft, dann kann die Fragestellung nicht lauten: Wollen wir politisch sein? sondern: Können wir es überhaupt verhindern, politisch zu sein?“

In diesem Sinne, wünsche ich den Preisträgern von heute Kraft und Mut weiter zu machen. Und denken Sie daran: Sie sind nie allein.

Georg Restle ist Redaktionsleiter und Moderator von MONITOR
Es gilt das gesprochene Wort